Wien: Eine literarische Einladung (SALTO) - gebunden oder broschiert

Wien. Eine literarische Einladung bietet Neuankömmlingen einen ungewöhnlichen Einstieg in die Stadt und ihre Literaturszene. Wo üblicherweise das Wien der Jahrhundertwende bemüht wird, um den kulturellen Glanz der Hauptstadt aufzupolieren, setzt die Herausgeberin Margit Knapp den Beginn österreichisch-literarischer Geschichtsaufarbeitung in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Erich Fried, Robert Schindel oder Ernst Jandl erweisen sich als sensible Zeitzeugen angesichts der Machtübernahme Hitlers. Helmut Qualtinger und Carl Merz treffen mit der Figur des legendären "Herrn Karl" den Nerv der Nachkriegsjahre. Herr Karl: "Dann bin i ummi zum ... zu de Nazi ... naja, Österreich war immer unpolitisch ... i maan, mir san ja kane politischen Menschen."

Später entlarvt H.C. Artmann, der sich "med ana schwoazzn dintn" (heißt: mit einer schwarzen Tinte) in sprachkünstlerischen Mundartdichtungen verewigt hat, die so genannte Wiener Gemütlichkeit. Dazu passen die Texte von Autoren der jüngeren Generation, wie etwa Franzobels "Monolog eines Wieners" oder Wolf Haas' Ausschnitt aus einem seiner mittlerweile berühmten Brenner-Krimis. Weiter erzählen Robert Menasse, Gruber Gruber, Erwin Einzinger und Klemens Renoldner aus den unterschiedlichsten Perspektiven Hinter- und Vordergründiges über das heutige Wien und seine Bewohner.

Insgesamt 16 Texte -- vorwiegend Prosa und ein wenig Lyrik -- sind in dem knallrot gebundenen und von Franziska Schaum illustrierten, eher schmal und leicht gehaltenenen Band versammelt. Die Dichterinnen Friederike Mayröcker und Ingeborg Bachmann dürfen in dieser Auswahl selbstverständlich nicht fehlen. Andere vermisst man dennoch: Ilse Aichinger, Friedrich Achleitner oder Antonio Fian, um nur einige wenige jener Schriftsteller zu nennen, für die die Stadt mehr als nur Hintergrund für ihr Schreiben ist. Die im Buch enthaltene Auswahl von Beiträgen, die Wien nicht einmal am Rande streifen, empfindet man daher ausgesprochen fehl am Platz.

Auf jeden Fall ist Wien eine literarische Entdeckungsreise wert, die man mit der angenommenen Einladung vorerst getrost beginnen kann, um sich Anregungen für ausschweifenderen Lesestoff zu holen. --Beatrice Simonsen