Castagno, Dario:Ein Tag in der Toskana (eBook, ePUB)
- neues Buch ISBN: 9783641026646
4 Uhr 8Vielleicht liegt es am Jetlag, vielleicht ist es auch schlicht die Aufregung darüber, zu meinen geliebten Chianti-Hügeln zurückgekehrt zu sein, die mich an diesem Morgen so früh au… Mehr…
4 Uhr 8Vielleicht liegt es am Jetlag, vielleicht ist es auch schlicht die Aufregung darüber, zu meinen geliebten Chianti-Hügeln zurückgekehrt zu sein, die mich an diesem Morgen so früh aufwachen lässt. Ich schlafe immer bei geöffneten Fensterläden, weil ich es liebe, von den ersten Sonnenstrahlen geweckt zu werden, aber jetzt herrscht noch undurchdringliche Dunkelheit. Noch immer klingt mir das monotone Dröhnen der Boeing 777 in den Ohren. Ich strecke meinen Arm zu der leeren Seite neben mir aus; mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen, aber ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, das Bett für mich allein zu haben. Ich blicke auf das Foto von Cristina auf dem Nachttisch, das mir so lebhaft im Gedächtnis ist. Dieses Bild mag ich besonders: Sie kniet darauf, um meinen letzten Hund Dick Rogers zu umarmen, und strahlt dabei liebevoll übers ganze Gesicht. Ich verstehe nicht, warum sie gegangen ist. Noch immer lasse ich meinen Schlüssel in der Haustür stecken für den Fall, dass sie zurückkommt. Wie sehr ich sie vermisse ...Eine Stunde vergeht in schläfrigem Grübeln. Tastend schickt die Sonne ihre ersten Strahlen über den Himmel wie ein Schwimmer, der prüfend seinen Zeh ins Wasser streckt, doch schon bald wird sie hinter den Hügeln aufgehen und alles in ein majestätisches Rot tauchen. Als der Himmel heller wird und die Sterne langsam verblassen, fällt mein Blick auf den hellblauen Samsonite-Koffer, den ich monatelang auf unzähligen Flughäfen hinter mir hergezogen habe: Er wartet noch immer darauf, ausgepackt zu werden. Ich spüre seinen unausgesprochenen Tadel und krieche aus dem Bett. Dann mache ich mich auf den Weg die granitenen Treppenstufen hinunter, um mir eine große Tasse caffè d'orzo zuzubereiten, die ich mit einem Teelöffel Honig süße. Anschließend toaste ich eine Scheibe toskanisches Brot, beträufle sie mit köstlichem olio extra vergine di oliva - kaltgepresstem Olivenöl -, füge eine Prise Salz hinzu und reibe eine frische Tomate über die knusprige Oberfläche. Ich fühle mich wie im Himmel. Zum ersten Mal seit vielen Wochen sitze ich auf meiner Terrasse, die Füße auf die Steinmauer gelegt, und genieße das Schauspiel, das sich mir bietet. Die Sonne ergreift langsam Besitz von der Landschaft, überzieht Burgen und Landhäuser, die über Hügel und Täler verstreut liegen, mit ihren glühenden Strahlen.Mein Dorf, Vagliagli, schläft noch. Die einzigen Geräusche sind das dumpfe Gebell einer Meute Jagdhunde in ihren Zwingern, die begierig darauf warten, hinausgelassen zu werden und die Spur eines Wildschweins aufzunehmen, sowie der unverwechselbare Ruf eines Kuckucks, der im Tal widerhallt. Die Kirchenglocke schlägt sechs. Ihr steinerner Turm gleißt in der Sonne.Schon jetzt ist es außergewöhnlich warm. Als ich die dampfende Tasse an die Lippen hebe, bemerke ich in der Ferne einen Heißluftballon, der über die Eichen gleitet. In der ehrfürchtigen Stille dieses frühen Morgens im Chianti lässt er die Stimmung - soweit das überhaupt möglich ist - noch zauberhafter erscheinen. Sein Anblick erinnert mich an meine kurze, amüsante Begegnung mit einem örtlichen Heißluftballon-Klub.Der Chianti-Heißluftballon-KlubIn meinen frühen Tagen als Reiseführer war ich einmal einem außergewöhnlichen Schweizer Herrn behilflich, der ein in den Hügeln verstecktes steinernes Bauernhaus besaß, das er geduldig mit eigenen Händen renovierte. Ich beneidete die großartige Lage und wäre glücklich gewesen, Stunden auf der Terrasse zu verbringen und mich am Ausblick sowohl auf die toskanische Landschaft als auch auf die Türme von Siena zu erfreuen, die sich prachtvoll in den Himmel erhoben.Unsere erste Begegnung fand im Rahmen eines Interviews für eine Lokalzeitschrift statt, für die er oft schrieb. Durch eine Broschüre hatte Friedrich von meinen "Rooster-Tours" erfahren und wollte einen Artikel darüber bringen. Er schien angetan zu sein von den Diensten, die ich anbot: kleine Besuchergruppen in einem Allradwagen abseits der ausgetretenen Touristenpfade durch das Chianti-Gebiet zu führen.Wir vereinbarten ein Treffen in einer heruntergekommenen Bar in Siena. Dort fand ich mich einem schlaksigen jungen Mann gegenüber, dessen riesiger Cowboyhut seine Glatze verbarg, ein - wie ich später herausfand - perfektes, glattes Oval. Dafür widmete sich Friedrich offenbar intensiv dem Wuchs und der Pflege seines beeindruckenden Schnauzbarts. Er trug eine Jeansjacke und Jeans, die er in schwere, braune Stiefel gesteckt hatte. Mein erster Gedanke war: Der Rote Baron ist wiederauferstanden!Kurioserweise fand ich Monate später heraus, dass er tatsächlich ein Baron war, obwohl er es vorzog, diese Tatsache unter den Tisch zu kehren - ganz anders als so viele feine Pinkel, die mit ihrer Blaublütigkeit prahlen.Als wir uns gegen Ende des Interviews entspannten, wandte sich unser Gespräch anderen Themen zu. Friedrich erzählte mir, dass seine Leidenschaft dem Fliegen galt (na also, dachte ich mir und versuchte vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken, er ist tatsächlich der Rote Baron!); er habe vor Kurzem den Heißluftballon-Schein gemacht, was ihn dazu inspiriert habe, den "Chianti-Heißluftballon-Klub" zu gründen und Flüge über die nahe gelegenen Hügel für Touristen anzubieten. Wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass sich die Frage, ob ich mit einsteigen wollte, quasi automatisch stellte.Zu der Zeit lief es mit meinen Rooster-Tours noch nicht besonders gut, und ich hätte sogar zugesagt, wenn man mir einen Job als Ausmister in einem Hühnerstall angeboten hätte. Umso begeisterter stimmte ich zu. Friedrich nahm mich mit, um mir seinen prächtigen rot-gelb gestreiften Ballon zu zeigen, den er in einem alten Schuppen auf seinem Grundstück aufbewahrte.Friedrichs Wiese war groß genug, um dort den Ballon für den Start vorzubereiten, und eignete sich somit auch hervorragend als Abflugort. Er erklärte mir, dass Heißluftballons allein mit der Windrichtung flögen und der Pilot lediglich dazu da sei, die Flughöhe zu regulieren, weshalb er eine Bodencrew benötige, die ihn bei seinen Flügen begleitete und ihn nebst Ausrüstung und Passagieren nach der Landung aufsammelte und zum Ausgangsort zurückbrachte. Außerdem war die Bodencrew - ich, wie ich rasch feststellte - dafür zuständig, am voraussichtlichen Landeplatz das Seil bereitzuhalten, mit dem der Ballon am Boden verankert werden sollte. Während des Fluges, fuhr Friedrich fort, würde er mir regelmäßig über Walkie-Talkie seine Flugposition durchgeben. Ich sollte seinen Landrover, einen Neunsitzer, nehmen, den er mit einem Anhänger ausgestattet hatte, der groß genug war für Korb und Gasbrenner. E-Book<