ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen ein Drittel in Estland als selten angesehe, Diplomica Verlag<
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ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen ein Drittel in Estland als selten angeseh, Diplomica Verlag<
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ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen e, Diplomica Verlag<
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ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen, Diplomica Verlag<
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2009, ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland), [ED: 1], Auflage, eBook Download (PDF), eBooks, [PU: diplom.de]
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Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen ein Drittel in Estland als selten angesehe, Diplomica Verlag<
ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen ein Drittel in Estland als selten angeseh, Diplomica Verlag<
ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen e, Diplomica Verlag<
ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen T… Mehr…
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland) Inhaltsangabe:Einleitung: ¿Wenn das früher von der großen Heerstraße des internationalen Tourismus weit abliegende Estland [...] in zunehmendem Maße die Aufmerksamkeit ausländischer Besucher auf sich lenkt, [die] durch die Eigenart von Land und Leuten angelockt werden, [...] so ist dies in erster Linie wohl auf die große Reiselust zurückzuführen [..], dann aber auch auf den Spleen, gerade das zu suchen, was noch wenige kennen, das gesehen zu haben, wovon kaum jemand zu berichten weiß.¿ Genau nach 60 Jahren haben die einleitenden Worte des Kapitels ¿Estland als Touristenland¿ von Albert Pullerits neue Aktualität bekommen. Als 1991 Estland seine Unabhängigkeit zurückerlangte, endeten nach 50 Jahren die Reisebeschränkungen für Ausländer. Erneut ist es nun wieder der ¿Spleen¿, das Unbekannte zu entdecken, der west- und nordeuropäische Ausländer nach Estland führt. Der Tourismus ist spätestens seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einer maßgeblichen Erscheinung geworden: 1995 verreisten nach Angaben der Welttourismusorganisation 567 Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Volumen des Fremdenverkehrs hat damit das Niveau der Industrieproduktion erreicht. Für viele Länder und Regionen ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftsfaktor geworden. Entsprechend seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit beschäftigen sich viele Wissenschaftszweige mit den Rahmenbedingungen, Phänomenen und Problemen. Für die vorliegende Arbeit wurde der baltische Raum ausgewählt, da Tourismus hier über eine lange Tradition verfügt und sich Estland, Lettland und Litauen seit ihrer Unabhängigkeit sehr um einen Ausbau des Fremdenverkehrs bemühen, der Raum aber bisher kaum untersucht wurde. Wegen persönlicher Kontakte nach Estland hat sich der nördlichste der drei baltischen Staaten als Ziel angeboten. Die Auswahl der Kommune Kihelkonna ergab sich dabei eher zufällig, nachdem sich die von Deutschland aus vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Dorf Käsmu im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland zerschlagen hatte. In Käsmu bestand von den örtlichen Ansprechpartnern, entgegen der Meinung der Nationalpark-Verwaltung, gar kein Interesse, sondern eine eher ablehnende Haltung gegenüber einer Diplom-Arbeit zum Thema Tourismus. Auch die geplante und mit der Nationalpark-Verwaltung vereinbarte Aufenthaltsdauer von fünf Wochen wurde von den Zuständigen vor Ort als ¿unnötig¿ und ¿zu lang¿ angesehen. Daß ich Estland ohnehin vor Beginn der Diplomarbeit durch eine Radtour in seiner Gesamtheit besser kennenlernen wollte, erwies sich nun als sehr positiv, da ich auf dieser Tour Kihelkonna kennenlernte. Die Gemeinde eignete durch ihre Lage ebenso gut für die Diplomarbeit wie der eigentlich vorgesehene Ort: Ein Teil der Gemeindefläche liegt im Vilsandi-Nationalpark, ferner gehört die Insel Saaremaa, auf der Kihelkonna liegt, in ihrer Gesamtheit im UNESCO-Biosphärenreservat ¿Westestnische Inseln¿. Mein Gastgeber in Kihelkonna, Herr Aivar Kallas, (ein Landwirt und Sportlehrer, der mit seiner Familie ¿Urlaub auf dem Bauernhof¿ anbietet) hatte großes Interesse an meiner Arbeit zum Thema Tourismus und ließ mir jede mögliche Hilfe zukommen. Durch seine Mitgliedschaft im Umweltausschuß der Gemeinde, seine Tätigkeit als Berater des Bauernverbandes und dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er mir Auskunft zu fast allen Fragestellungen geben, die sich im Laufe der Arbeit in Estland ergaben. Der Fremdenverkehr hat in Kihelkonna seit der Unabhängigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Mehrere Bauernhöfe, Privathaushalte und das Pfarrhaus bieten Gästezimmer an, eine Fährverbindung zwischen der Gemeinde und Gotland hat 1995 über 5000 Schweden nach Saaremaa gebracht, mehrere tausend Bustouristen suchen jeden Sommer die Kirche des Dorfes auf. Die touristischen Überlastungserscheinungen in der Kreisstadt Kuressaare lassen ein Ungleichgewicht an Hotels, Pensionen, Gastronomie, usw. auf der Insel Saaremaa erkennen. Der Fremdenverkehr wird sich voraussichtlich in Zukunft in dem Maße auf andere, geeignete Orte der Insel verteilen, in dem Unterkünfte geschaffen werden. Die Rolle Kihelkonnas als drittgrößte Ansiedlung der Insel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten sowie die positive Wirtschaftsentwicklung in Estland lassen erwarten, daß der Tourismus in der Gemeinde eine weitere Zunahme erfahren wird. Die sehr marktwirtschaftliche Ausrichtung der estnischen Politik und der Verzicht auf Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei bedeuten für Kihelkonna eine unsichere wirtschaftliche Zukunft. Sehr kritisch ist besonders die Situation der Landwirtschaft. Viele Kleinbauern, die bereits zu Sowjetzeiten im Nebenerwerb wirtschafteten, müssen nun ausschließlich ihr Auskommen auf den kleinen Höfen suchen. Viele Betriebe haben wegen mangelnden Eigenkapitals und fehlender Landfläche nur den Charakter einer Subsistenzwirtschaft. Es erscheint daher notwendig, neue Sektoren zu erschließen und zu nutzen. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat beschlossen, daß Kihelkonna als ¿Ferienort mit sanftem Tourismus¿ entwickelt werden soll. Begründet wird die Orientierung an ¿weichen¿ Tourismuskonzepten durch die Lage der Gemeinde im Vilsandi-Nationalpark. Der Nationalpark ist bereits heute Anziehungspunkt für viele Reisende. Er zieht einen Teil seiner Legitimation aus der hohen Zahl der Besucher, die Interesse an der artenreichen Flora und Fauna des Schutzgebietes haben. Andererseits muß bei steigenden Gästezahlen und einem weiterhin ungelenkten Besucherstrom mit Beeinträchtigungen der empfindlichen Vogelwelt des Nationalparks gerechnet werden. Die Frage, wie viele Feriengäste die Insel Vilsandi vor der Küste Kihelkonnas verträgt, wird heute noch nicht gestellt. Auch Überlegungen im Nationalpark gelegene und lange ungenutzte Häfen wiederzubeleben werden nicht vor dem Hintergrund gesehen, wie sich ein mit steigendem Tourismus aufkommender Segel- und Motorbootbetrieb auf Zugvögel und Robbenbänke auswirkt. In den letzten Jahren wurden bereits erhebliche Anstrengungen von Privatleuten und Bauern zur Schaffung von Pensionszimmern unternommen. Die familiären Quartiere bestechen durch die Freundlichkeit der Menschen und die Originalität der Unterbringung. Diese privaten Investitionen finden aber bisher keine Resonanz in gemeindlichen Aufwendungen für den Aufbau einer touristischen Infrastruktur. Es besteht die Gefahr, daß durch die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Beherbergung und dem sonstigen touristischen Angebot die Anstrengungen der privaten Anbieter ins Leere laufen, da der ¿background¿ für einen attraktiven Urlaub fehlt. Problematisch sind insbesondere der Verfall von Sehenswürdigkeiten wie Gutshöfe und Mühlen, das völlige Fehlen gastronomischer Angebote sowie die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Dieses Defizit bei der Inwertsetzung des antropogenen touristischen Potentials kann dazu führen, daß Gäste mit der Beherbergung und dem landschaftlichen Angebot zwar zufrieden sind, wegen der ansonsten aber dürftigen bis nicht existierenden touristischen Ausstattung keinen erneuten Urlaub in der Region verbringen bzw. die Region nur eingeschränkt weiterempfehlen können. Während der Fremdenverkehr in westeuropäischen Ländern gut erforscht ist und auch über die Auswirkungen des Ferntourismus zahlreiche Veröffentlichungen vorliegen, sind estnische Wissenschaftler bisher kaum mit Arbeiten zum Freizeit- und Fremdenverkehr weder an der Universität von Tartu noch an der Akademie der Wissenschaften in Tallinn in Erscheinung getreten. Es mangelt daher an Material über Tourismus in Estland bzw. über spezielle, auf Saaremaa oder gar Kihelkonna bezogene Daten. Eine breitere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen des Tourismus hat auf Saaremaa 1995 mit der Erstellung einer Studie über die Strukturen des Fremdenverkehrs und einer umfangreichen Befragung von Feriengästen begonnen. Die vorliegende Arbeit kann sich aber nicht in dem Maße auf umfassendes Zahlen- und Belegmaterial stützen wie dies wünschenswert gewesen wäre. Daten und insbesondere Kartenmaterial waren oft nicht verfügbar, von der Nationalparkverwaltung wurde die Arbeit bedauerlicherweise mit keinerlei Material unterstützt. In einigen Bereichen können daher nur eher allgemeine Aussagen gemacht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINFÜHRUNG3 2.ZIELSETZUNG6 3.KURZINFORMATION ÜBER DIE REPUBLIK ESTLAND9 4.BESCHREIBUNG DER GEMEINDE KIHELKONNA12 4.1Lage und Einordnung12 4.2Historische Entwicklung und Bevölkerungsstruktur14 4.3Infrastruktur17 4.4Wirtschaftsstruktur20 5.LANDWIRTSCHAFT25 6.VILSANDI-NATIONALPARK30 6.1Beschreibung und Schutzzweck30 6.2Gesetzliche Grundlagen34 6.2.1Die Schutzgebietskategorien des Estnischen Gesetzes über Geschützte Naturobjekte34 6.2.1.1Zonierung von Schutzgebieten35 6.2.2Naturparke38 6.2.3Biosphärenreservate41 7.BESCHREIBUNG UND QUALITATIVE BEWERTUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA42 7.1Entwicklung des Tourismus in Estland seit der Unabhängigkeit42 7.2Entwicklung des Tourismus auf Saaremaa44 7.3Entwicklung des Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna45 7.4Beschreibung und qualitative Bewertung der sieben Bausteine des ¿Urlaubs in Kihelkonna¿52 7.4.1Landschaft57 7.4.2Ortscharakter63 7.4.3Wohnen82 7.4.4Essen und Trinken91 7.4.5Service und Information93 7.4.6Tourismusrelevante Infrastruktur94 7.4.7Verkehr95 8.UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHER TOURISMUS100 8.1Problemzusammenhänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Massentourismus101 8.2Entwicklung von Ansätzen für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus106 8.3Mögliche Konflikte und Widersprüche im Ansatz des ¿Sanften Tourismus¿117 9.LEITPRINZIPIEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA122 9.1Fremdenverkehr ein unverwechselbares Profil geben122 9.2Planung und Tourismuspolitik der Gemeinde neu ausrichten123 9.3Landschaft schützen125 9.4Regionale Wirtschaftskraft stärken125 9.5Landwirtschaft fördern126 9.6Infrastruktur und Verkehr optimieren126 10.PLANERISCHE INSTRUMENTE ZUR UMSETZUNG EINES UMWELT- UND SOZIALVERTRÄGLICHEN TOURISMUS IN DER GEMEINDE KIHELKONNA128 10.1Gremium aller am Tourismus Beteiligten128 10.2Integrierte Bauleit-, Landschafts- und Fremdenverkehrsplanung128 10.3Dezentrale Konzentration des Tourismus133 11.NACHFRAGE NACH ¿SANFTEM TOURISMUS¿, ZIELGRUPPENBESTIMMUNG UND EINORDNUNG IN EIN MARKTSEGMENT134 12.EINZELMASSNAHMEN141 12.1Entwicklung eines Fahrrad-Rundwanderweges141 12.2Entwicklung eines Dorfspaziergangs für Kihelkonna153 13.FAZIT157 14.LITERATUR159Textprobe:Textprobe: Kapitel 6, DER VILSANDI-NATIONALPARK: Beschreibung und Schutzzweck: Der Vilsandi-Nationalpark liegt zu ca. 50% auf dem Gebiet der Gemeinde Kihelkonna, der andere Teil gehört zur Gemeinde Lümanda. Er erstreckt sich an der Westküste der Tagamõisa-Halbinsel von der Halbinsel Harilaid in einem schmalen Küstenstreifen nach Süden bzw. Südenwesten. Bis auf einige, wenige Höfe in Rootsiküla, in Kurevere und auf Vilsandi ist der Nationalpark weitgehend unbesiedelt. Südlich des Dorfs Kihelkonnas gehört die Fläche westlich der Landstraße nach Lümanda und nördlich der Straße nach Atla zum Nationalpark sowie die Papisaare-Halbinsel, die gesamte Bucht von Kihelkonna mit allen Inseln, insbesondere natürlich Vilsandi. Die Wasserflächen fallen ebenfalls unter den Schutz des Parks. Der Vorläufer des Vilsandi-Nationalparks war das Vaika-Vogelschutzgebiet, das bereits 1910 auf Grundlage eines Abkommens zwischen Rigaer Naturforscher-Verband und dem Kirchspiel Kihelkonna gegründet wurde. Zuvor hatte bereits der Leuchtturmwärter von Vilsandi 1906 sechs Felsen gepachtet, um die zahlreichen Brutvögel vor den Küstenbewohnern zu schützen, die dort Eier sammelten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Schutzgebiet immer weiter ausgedehnt und umfaßt heute 167 Quadratkilometer. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde per Gesetz am 10. Dezember 1993 der Vilsandi-Nationalpark geschaffen. Mit 161 Inseln im Vilsandi-Nationalpark werden 11% aller estnischen Inseln geschützt. Eine große Zahl durchziehender und brütender Seevögel, Limicolen, Enten und Gänse, die großen Robbenbestände und die im Bereich der Buchten sehr unterschiedliche und besonders artenreiche Meeresfauna machen den besonderen ökologischen Wert dieses Gebietes aus. Allein ein Drittel des Kegelrobbenbestandes (Halichoerus grypus) der Ostsee lebt im Vilsandi-Nationalpark. Die 800 Tiere finden auf den Inseln Laevarahu und Innarahu einen ungestörten Lebensraum vor. Mit sechs bis acht Prozent liegt der Salzgehalt über dem ansonsten üblichen in estnischen Küstengewässern. Hinzu kommt die unterschiedliche Meerestiefe (maximal 20 Meter) und die unterschiedlichen Strömungen in den zahlreichen Buchten der Küste. Der Wasseraustausch an der Westküste Saaremaas ist durch seine Lage zur offenen See sehr groß, sodaß der Meeresstrom sehr viel Nahrung heranführt. Insgesamt resultiert daraus eine hohe Biodiversifität auf engem Raum. Internationale Bedeutung als Vogelschutzgebiet: Die naturkundlichen Aufzeichnungen für das Gebiet des Nationalparks reichen weit zurück. So ist auf der Oberen Vaika-Insel seit 1906 eine Mantelmöwen-Kolonie bekannt, 1927 wurde erstmals eine Zwergseeschwalbenkolonie auf Nootamaa registriert, bereits 1885 wurde eine Säbelschnäbler-Kolonie auf Urve angetroffen, etc. Der Nationalpark hat 247 Vogelarten auf seinem Areal ermittelt, von denen dort 110 Arten brüten. Größte Brutvogelpopulation stellt die Eiderente (Somateria mollissima) mit über 4.000 Brutpaaren. Der Schutzzweck des Vilsandi-Nationalparks bezieht sich insbesondere auch auf die Bedeutung der westestnischen Inseln für den Vogelzug. Die Inseln liegen auf halber Strecke zwischen den zentraleuropäischen Winterquartieren und den Brutgebieten der arktischen Tundra. Im Frühjahr rasten diese Vögel zu Tausenden im Nationalpark, im Herbst kehren sie mit ihren Jungtieren zur Rast zurück. Besondere Bedeutung haben die Weißwangengans (Branta leucopsis) mit 6.000 bis 10.000 Individuen und die Scheckente (Polysticta stelleri) mit ca. 1.200 Individuen. Aus diesem Grund hat der internationale Vogelschutzverband BIRDLIFE (IBA) die Halbinsel Harilaid, die Insel Vilsandi und die Karala-Bucht in die Liste der international bedeutsamen Vogelzuggebiete aufgenommen. Flora: Auch die Flora Westsaaremaas ist bedingt durch das maritime Klima, die nährstoffarmen, kalkreichen Böden von einer besonderen Ausprägung. Es finden sich 520 höhere Pflanzen im Vilsandi-Nationalpark, von denen, Diplomica Verlag<
2009, ISBN: 9783836630665
Ansätze für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Gemeinde Kihelkonna (Estland), [ED: 1], Auflage, eBook Download (PDF), eBooks, [PU: diplom.de]
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Detailangaben zum Buch - Nachhaltige Regionalentwicklung im Vilsandi-Nationalpark
EAN (ISBN-13): 9783836630665
Erscheinungsjahr: 2009
Herausgeber: Diplomica Verlag
Buch in der Datenbank seit 2007-04-08T07:55:13+02:00 (Zurich)
Detailseite zuletzt geändert am 2016-10-08T11:20:34+02:00 (Zurich)
ISBN/EAN: 9783836630665
ISBN - alternative Schreibweisen:
978-3-8366-3066-5
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Autor des Buches: heimberg
Titel des Buches: tourismus regionalentwicklung, vils
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